Kalibertabellen und -abmessungen für Feuerwaffen von 1600 bis 1650
Die systematische Erfassung, wissenschaftliche Auswertung und experimentelle Überprüfung der Kaliber von Handfeuerwaffen des Dreißigjährigen Krieges mit Luntenschloss oder Radschloss führt bisher ein eher stiefmütterliches Dasein und wird, wenn, dann nur in Einzelfällen und eher unrepräsentativ betrieben. Die unterschiedlichen Zielsetzungen von Historikern, Waffenkundlern und Archäologen sind sicherlich nur eine Erklärung dafür. Der Zweig der experimentellen Archäologie in diesem Bereich ist noch sehr jung. Auf Seiten der Kultur- und Sittengeschichte, auch der Militärgeschichte des 17. Jahrhunderts wurde dieses Thema bisher kaum beachtet. Auf der waffenkundlichen Seite überwiegt meist ein sogenanntes Erfahrungswissen, welches bisher nur in Ausnahmefällen mit wissenschaftlichen Kriterien erfasst oder ausgewertet wurde. Abmessungen, Gewichte, Kaliber und Spezifitäten der Handhabung von Luntenschloss- oder Radschlosswaffen bleiben in den entsprechenden Publikationen oft unberücksichtigt (Ausnahme Geibig 1996, Brooker 2207). Auch werden reich verzierte Luxuswaffen, militärisch eher unterrepräsentiert, meist nur vom kunsthistorischen Aspekt her behandelt. Dagegen wurden militärische Gebrauchswaffen des frühen 17. Jahrhunderts bisher nur vereinzelt in ihren waffentechnischen und funktionellen Details systematisch beschrieben und abgebildet.
Nachfolgende Tabelle und die dazugehörigen Erläuterungen sollen Historikern, Sammlern und Archäologen eine Ein- und Zuordnung der während des Dreißigjährigen Krieges gebräuchlichen Kalibergrößen und der dazugehörigen Bleikugeln ermöglichen. Die damals üblichen Angaben der Kalibergrößen in Kugeln pro Pfund und die unterschiedlichen Gewichtseinheiten der Fertigungsstätten, bedingte eine mathematische Umrechnung in die heute gebräuchlichen metrischen Größen von Bohrungs- und Kugelkaliber, welche in der Spalte der für die Fertigungsstätte jeweils gültigen Gewichtsgröße abgelesen werden kann. Die fettgedruckten Angaben und die nachfolgende Liste bezeichnen eine Anzahl repräsentativer Kalibergrößen, welche in zahlreichen, Sammlungen, Publikationen und Aktionskatalogen verifiziert wurden. Die Interpretation der in den zeitgenössischen Bewaffnungsverordnungen überlieferten Kaliber und Kugelspezifikationen (Angaben des Kalibers in Kugeln pro Pfund) sollte, bedingt durch die in den jeweiligen Städten, Ländern oder Landesteilen geltenden unterschiedliche Gewichtsgrößen, differenziert und mit Vorsicht erfolgen. Nürnberg, Augsburg und Ferlach rechneten nach dem Nürnberger Pfund (510 g) und für gezogenen Rohre nach Pfund Silbergewicht (477 g), während Suhl; Essen und die niederländischen Manufakturen ihren eigenen Gewichten folgten. Interessant ist jedoch, daß letztere, wohl aufgrund der zahlreichen Auslandsaufträge, sich frühzeitig am englischen Pfund (453 g) orientierten, was in den typischen Musketenkalibern 19,7 mm, 17,6 mm, dem Karabinerkaliber 16,8 mm und den Pistolenkalibern 14,7, 14,0 und 13,6 mm deutlich wird.
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Englisches Pfund
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Sachsen/Suhl Pfund
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Nürnberger Silbergew.
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Amsterdamer Pfund
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Nürnberger Pfund
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Kugeln / Pfund
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453 Gramm
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467 Gramm
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477 Gramm
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494 Gramm
|
510 Gramm
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Durchmesser
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Durchmesser
|
Durchmesser
|
Durchmesser
|
Durchmesser
|
|
100
|
9,1
|
9,2
|
9,3
|
9,4
|
9,5
|
Ø mm
|
90
|
9,5
|
9,6
|
9,6
|
9,7
|
9,8
|
Ø mm
|
80
|
9,8
|
9,9
|
10,0
|
10,1
|
10,2
|
Ø mm
|
70
|
10,3
|
10,4
|
10,5
|
10,6
|
10,7
|
Ø mm
|
60
|
10,8
|
10,9
|
11,0
|
11,2
|
11,3
|
Ø mm
|
50
|
11,5
|
11,6
|
11,7
|
11,8
|
12,0
|
Ø mm
|
45
|
11,9
|
12,0
|
12,1
|
12,3
|
12,4
|
Ø mm
|
42
|
12,2
|
12,3
|
12,4
|
12,6
|
12,7
|
Ø mm
|
38
|
12,6
|
12,7
|
12,8
|
13,0
|
13,1
|
Ø mm
|
35
|
13,0
|
13,1
|
13,2
|
13,3
|
13,5
|
Ø mm
|
32
|
13,4
|
13,5
|
13,6
|
13,8
|
13,9
|
Ø mm
|
30
|
13,6
|
13,8
|
13,9
|
14,0
|
14,2
|
Ø mm
|
28
|
14,0
|
14,1
|
14,2
|
14,4
|
14,5
|
Ø mm
|
26
|
14,3
|
14,5
|
14,6
|
14,7
|
14,9
|
Ø mm
|
25
|
14,5
|
14,7
|
14,8
|
14,9
|
15,1
|
Ø mm
|
24
|
14,7
|
14,9
|
15,0
|
15,1
|
15,3
|
Ø mm
|
20
|
15,6
|
15,8
|
15,9
|
16,1
|
16,3
|
Ø mm
|
18
|
16,2
|
16,3
|
16,5
|
16,7
|
16,8
|
Ø mm
|
16
|
16,8
|
17,0
|
17,1
|
17,3
|
17,5
|
Ø mm
|
15
|
17,2
|
17,4
|
17,5
|
17,7
|
17,9
|
Ø mm
|
14
|
17,6
|
17,8
|
17,9
|
18,1
|
18,3
|
Ø mm
|
13
|
18,0
|
18,2
|
18,4
|
18,6
|
18,8
|
Ø mm
|
12
|
18,5
|
18,7
|
18,8
|
19,1
|
19,3
|
Ø mm
|
10
|
19,7
|
19,9
|
20,0
|
20,3
|
20,5
|
Ø mm
|
8
|
21,2
|
21,4
|
21,6
|
21,8
|
22,1
|
Ø mm
|
-
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|
|
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Auswahl Waffentyp:
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Fertigungsort:
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"Schließende Kugel"
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(Rohrkaliber)
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"Rollende Kugel"
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(Kugelkaliber)
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Datierung
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Kugeln/Pfund
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mittlerer Ø
|
Kugeln/Pfund
|
mittlerer Ø
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Musketen:
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Holland.
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8 Kugeln
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21,6 mm
|
10 Kugeln
|
20,0 mm
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- ca.1615
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Suhl/Amsterdm.
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10 Kugeln
|
19,7 mm
|
12 Kugeln
|
18,5 mm
|
ab ca.1630
|
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Augsburg
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13 Kugeln
|
18,8 mm
|
15 Kugeln
|
17,9 mm
|
|
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Nürnbg.1631
|
14 Kugeln
|
18,3 mm
|
16 Kugeln
|
17,5 mm
|
"2-löthig"
|
|
Nürnbg.1634
|
16 Kugeln
|
17,5 mm
|
18 Kugeln
|
16,8 mm
|
ab 1634
|
|
Amsterdam
|
15 Kugeln
|
17,7 mm
|
17 Kugeln
|
17,0 mm
|
1620-1630
|
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|
|
|
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Schützenrohr:
|
Nürnbg./Amstd.
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20 Kugeln
|
15,9 mm
|
24 Kugeln
|
15,0 mm
|
|
Karabiner:
|
Nürnbg./Amstd.
|
16 Kugeln
|
16,8 mm
|
18 Kugeln
|
16,2 mm
|
|
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Suhl 1640-48
|
24 Kugeln
|
14,9 mm
|
26 Kugeln
|
14,5 mm
|
1640-48
|
|
|
|
|
|
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Pistolen:
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Suhl/Ferl./Essen
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24 Kugeln
|
14,9 mm
|
26 Kugeln
|
14,5 mm
|
ab 1640
|
|
Amsterdam
|
26 Kugeln
|
14,7 mm
|
28 Kugeln
|
14,4 mm
|
ab 1650
|
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Suhl/Nbg./Ferl.
|
28 Kugeln
|
14,0 mm
|
30 Kugeln
|
13,6 mm
|
1625-1650
|
|
Amst/Suhl/Ferl.
|
30 Kugeln
|
13,6 mm
|
32 Kugeln
|
13,4 mm
|
ab 1640
|
|
Nürnberg
|
35 Kugeln
|
13,5 mm
|
38 Kugeln
|
13,1 mm
|
1625-1635
|
|
Nürnberg
|
38 Kugeln
|
13,1 mm
|
42 Kugeln
|
12,7 mm
|
1625-1630
|
|
Nürnberg
|
42 Kugeln
|
12,7 mm
|
45 Kugeln
|
12,4 mm
|
1620-1625
|
|
Nürnbg./Ferlach
|
50 Kugeln
|
11,7 mm
|
60 Kugeln
|
11,0 mm
|
1625-1630
|
|
Nürnbg./Augsb.
|
70 Kugeln
|
10,5 mm
|
80 Kugeln
|
10,0 mm
|
1625-1630
|
|
Nürnberg
|
80 Kugeln
|
10,0-10,2 mm
|
90 Kugeln
|
9,5-9,8 mm
|
1620-1625
|
|
Augsbg./Nürnbg.
|
80 Kugeln
|
10,0-10,5 mm
|
90 Kugeln
|
9,5-9,8 mm
|
1600-1630
|
Trotz der relativ großen fertigungstechnisch bedingten Toleranzen bei Läufen der damaligen Zeit erfolgen die oben tabellarisch erfaßten Kaliberangaben in 1/10 mm. Bei der theoretischen Umrechnung der damaligen Kaliberspezifikationen in Kugeln pro Pfund (bei Annahme des spezifischen Gewichts von Weichblei mit 11,34 g/cm³) ist dies sinnvoll, um eine repräsentativere Klassifizierung von Kalibergrößen zu erreichen. Auch bei der Vermessung von Laufbohrungen liegt zwecks besserer Zuordnung eine Genauigkeit von 1/10 mm nahe. Bei der Vermessung von Kugelfunden ist dies natürlich nicht notwendig und aufgrund der Verformung auch oft nicht möglich. Musketenkugeln wurden ja stark unterkalibrig verschossen („Rollkugeln“): bei den größeren Kalibern innerhalb einer Toleranz von 2 Kugeln pro Pfund, bei den kleineren Pistolenkugeln unter 13,5 mm mit einer Toleranz von 3 bis 5 Kugeln, unter ca. 12 mm mit einer Toleranz von 5-10 Kugeln pro Pfund. In der zeitgenössischen Literatur wird berichtet, dass viel öfter zu kleine als zu große Kugeln geliefert oder ausgeteilt wurden. Eine zu kleine Kugel konnte man entsprechend mit einen Pfropf aus Werk oder Papier im Lauf fixieren. Dagegen führte eine auf halber Höhe oder im unteren Drittel des Laufes festsitzende zu große Kugel unweigerlich zur Sprengung der aus Weicheisen geschmiedeten und mit einer Längsnaht verschweißten Musketenläufe. Was fast immer in schwerwiegenden Verletzungen oder dem Tod des Schützen resultierte. Da die Ladestecken der Musketen nur aus dünnen Holzstäben mit einer Metallkappe bestanden, gab es die Vorschrift, daß pro Rotte (6 Mann) ein Korporal einen "eisernen Stämper" mitführen mußte, um notfalls die auf halber Länge festsitzende Kugel eines Schützen hinunterstoßen zu können.
Im Übrigen waren die verwendeten Kaliber so uneinheitlich nicht. Im Allgemeinen wurden zur Ausrüstung eines Regiments (vom jeweiligen Obersten als Regimentsinhaber) Sammelbestellungen in den Gewehrmanufakturen getätigt. Der Auftraggeber, in der Regel der Oberst und Inhaber des Regiments sowie meist Eigentümer von dessen Ausrüstung in einer Person, achtete mit Sicherheit sehr darauf, dass zumindest die Bewaffnung innerhalb seines Regiments weitestmöglich einheitlich war. Man findet zwar bisweilen sogar zusammengehörige Pistolenpaare, bei denen die Differenz zwischen linkem und rechtem Rohrkaliber 0,3 mm und mehr beträgt. Dies ist allerdings nicht in ungenauen Vorgaben, sondern in den Einschränkungen der damaligen Fertigungsmethoden begründet. Die relativ großen Abweichungen ergaben sich dadurch, dass die Rohre über einem Dorn hohlgeschmiedet wurden und dann mit gehärteten Vierkantbohrern (Nebern) unterschiedlicher Größe und mit Hilfe von Wasserkraft auf das fertige Kalibermaß ausgebohrt wurden. Dadurch weichen die Kaliberbohrungen der Läufe zwar in Einzelfällen um einige 1/10 mm von der rechnerischen Größe ab, pendeln sich aber bei größeren Lieferungen relativ nahe am Sollwert ein. Die Messung und Fertigungskontrolle wurde ja nicht wie heute in Bruchteilen von mm vorgegeben, sondern erfolgte durch eine Matrize, in der Regel einen vom Auftraggeber gelieferten Metallzylinder, der bei der Endkontrolle im fertig ausgebohrten Lauf locker hinunterspielen mußte.
Zu relativieren ist auch die bisher gebräuchliche Annahme, dass sich die Kaliber im Laufe des Krieges analog zur Schwere der Waffen verringerten. Tatsächlich ist (mit einigen Ausnahmen des frühen 17. Jahrhunderts) das Gegenteil der Fall, zumal bei militärischen Radschloss-Pistolen. Bei Musketen läßt sich eine zweigleisige Entwicklung der Kalibergrößen verfolgen. Während zum Beispiel schwere Augsburger Musketen der 1620er Jahre mit einem Gewicht von bis zu 7,5 kg meist ein gebohrtes Laufkaliber von 18 bis 18,3 mm (14 Kugeln/Pfund) aufwiesen und 16 Kugeln aufs Pfund schossen (ca. 17,5 mm), hatten die 4,5 kg leichten und kürzeren (1,40 m), ab Ende 1632 meist in Suhl gefertigten Musketen neuen schwedischen Typs eine Laufbohrung von 10 Kugeln/Pfund (ca. 19,7 mm) und schossen eine rollende Kugel von 12 aufs Pfund (ca. 18,5 mm). In den niederländischen Bewaffnungsverordnungen von 1639 wird dieses Kaliber dann sogar zwingend vorgeschrieben. Im November 1632 war dieser Musketentyp allerdings unter den Schweden noch sehr gering verbreitet (unter den Kaiserlichen überhaupt nicht) was den geringen Anteil der Kugeln über 18 mm Durchmesser bei archäologischen Ausgrabungen auf dem Schlachtfeld von Lützen erklärt. Die großen Kaliber blieben jedoch weiterhin in Gebrauch. Vor allem bei den schwedischen und holländischen Manufakturen sowie nachfolgend auch auf dem englischen Kriegsschauplatz ab 1642. Das große Musketenkaliber hielt sich praktisch bis ins 18. Jahrhundert (Kal. .75 = 19,05 mm oder .77 = 19,56 mm Laufbohrung). Parallel dazu ergab sich allerdings auch bei Musketen ein Trend zur Kaliberverringerung. Ab ca. 1634 bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges war bei beiden feindlichen Parteien als Kugelkaliber die sogenannte „zweilöthige Kugel“ von ca. 17,0 bis 17,5 mm (16 aufs Pfund) gebräuchlich, aus Musketenläufen mit einer Bohrung von ca. 18 mm verschossen, sowie Kugeln vom Kaliber 18 pro Pfund (ca. 16,2-16,8 mm) für Laufbohrungen von 17,5 mm (16 Kugeln/Pfund, später Kal. .69).
Pistolen der protestantischen Seite, meist aus Suhler Fertigung, hatten zu Beginn der 1630er Jahre eine durchschnittliche Kaliberbohrung von ca. 13,6 oder 14 mm (30 bzw. 28 Kugeln aufs Pfund) und schossen eine rollende Kugel zwischen 13 und 13,5 mm (32 bzw. 35 Kugeln pro Pfund). Auf kaiserlicher Seite hatte man etwas kleinere Pistolenkaliber mit einer Bohrung von 12,5 bis 13,5 mm, welche Kugeln zwischen Ø 12 und 13 mm verschossen. Jedoch führten die alten kaiserlichen Kürassier- und Arkebusierregimenter auch Pistolen, die in Nürnberg, Augsburg und Ferlach zwischen 1620 und 1625 gefertigt wurden. Diese weisen häufig ein relativ kleines Laufkaliber von 10 mm bis 10,5 mm auf, schossen also Kugeln von 9,5 bis 10 mm Durchmesser.
Es gab jedoch ab ca. 1630 schon größere Pistolenkaliber von 15 mm und darüber, die Kugeln von 14,7-14,9 mm (24/Pfund verschossen). Gustav Adolfs Koller soll ja in der Schlacht bei Lützen am 6./16. Nov. 1632, nach den kriminaltechnischen Untersuchungen und Pulverrückständen zu schließen, im Rücken von einem Schuss aus nächster Nähe durchschlagen worden sein. Und zwar mit einem Geschosskaliber von 15 bis 16 mm. Die schwedischen Historiker tippen zwar auf eine Pistole. Anzunehmen ist aber eher ein Karabiner. Die größten Laufkaliber der zu diesem Zeitpunkt gebräuchlichen Pistolen liegen bei ca. 15 mm, was ein max. Geschosskaliber von ca. 14,5 -14,8 mm indiziert. Karabiner hatten in den 1630er Jahren oft eine Bohrung von ca. 16,8 mm (16/Pfund) aus dem eine Rollkugel von 16,2 mm (18/Pfund) verschossen wurde. Erst gegen Ende des Krieges vereinheitlichte sich das Kaliber typischer Suhler Radschlosskarabiner mit Paddelschaft auf eine Bohrung von ca. 15 mm.
In der Regel wurde der normale Standardinfanterist des Dreißigjährigen Krieges aus den bei der Armee mitgeführten Munitionsvorräten ausreichend mit Pulver und Kugeln versorgt. In den zeitgenössischen Korrespondenzen werden häufig große Lieferungen von Musketenkugeln und anderen Geschossen erwähnt. Auch die Vorräte an Bleikugeln in den Magazinen der Städte und anderer befestigten Orte, aus denen sich die durchziehenden Heere häufig bedienten, waren ziemlich umfangreich. Anzunehmen ist aber, daß rottenweise eine Kugelzange für Notfälle mitgeführt wurde und auch der jeweilige Zeug- oder Rüstmeister eine Kompanie über entsprechende Mehrfachformen für den Guss von Bleikugeln verschiedener Kaliber verfügte. Spezielle Waffengattungen, wie Leibschützen, die gezogene Rohre verwendeten, Trainsoldaten und Mannschaften zur Artilleriebedeckung, welche Radschlossmusketen führten (auch Kroaten mit ihren meist kleineren Kalibern) hatten wohl ihre eigenen Kugelzangen bei sich.
Häufig wird auch die Anzahl der Schüsse, die der Musketier in einer Schlacht abfeuerte, zu hoch geschätzt. Bei den meisten Treffen kamen die Schützen (selbst in der schwedischen Linearformation) wohl nicht dazu, mehr als ihr halbes Bandelier (also 5-6 Schuss) zu verschießen, bevor es zum Nahkampf kam. Die 10 bis 12 Kugeln, die der Musketier im Kugelbeutel mitführte, waren deshalb für die meisten Gefechte (selbst für Feldschlachten) ausreichend. Bei der Reiterei war dies noch signifikanter. Mehrmaliges Nachladen der Pistolen oder Karabiner war wohl eher die Ausnahme, im Schlachtgetümmel auch so gut wie unmöglich. Bei den Schweden wurde nach Abfeuern der 1. Pistole in Schocktaktik angegriffen, die zweite Pistole für den Nahkampf aufgehoben.
Im normalen Alltag außerhalb von Kampfhandlungen wurde die Muskete so gut wie nie abgefeuert, außer vor Antritt des Wachdienstes, um ihre Funktion zu gewährleisten. Blei war eben wertvoll und rar. Zahlreiche Kirchenfenster wurden während des Dreißigjährigen Krieges zerstört, einzig zu dem Zweck, um aus ihren Bleifassungen Kugeln zu gießen. Für den Zeitraum der schwedischen Kriegsperiode (1631-1635) ist überliefert, dass aufgrund von Bleiknappheit manche der von schwedischer Seite abgefeuerten Geschosse aus in Kugelmühlen gefertigten Steinkugeln bestanden. Bis heute werden diese steinernen, vielfach auch tönernen Projektile auf den Feldern und Fluren rund um Nördlingen gefunden. Viele dieser im Volksmund als "Nördlinger Schusser" bezeichneten mineralischen Kugeln, vor allem solche im typischen Musketenkaliber von 17,5 mm bis 18,5 mm, sind mit großer Wahrscheinlichkeit Überbleibsel der Kampfhandlungen der Nördlinger Schlacht (5.u.6. Sept.1634). Allerdings wurden Stein- oder Tonkugeln dieser Größenordnung in Ermangelung besseren Materials unter anderem auch zur Füllung von bereits damals gebräuchlicher Kartätschenmunition verwendet. Zudem wurden auch im zivilen Alltag mit den für die Jagd auf Federwild gebräuchlichen "Kugelschneppern" (Armbrusten für Kugelgeschosse - vom 16. bis zum 18. Jahrhundert in Gebrauch) vorzugsweise Tonkugeln mit Abmessungen zwischen 15 und 20 mm in großer Menge verschossen, weshalb eine eindeutige Zuordnung dieser mineralischen Kugelfunde zu ihrem Verwendungszweck nicht immer möglich ist.
Literatur (Auswahl):
- Peter Engerisser: Von Kronach nach Nördlingen. Der Dreißigjährige Krieg in Franken, Schwaben und der Oberpfalz 1631-1635. Teil II: Kriegswesen, Sitten und Gebräuche der kaiserlich-ligistischen und schwedisch-protestantischen Armeen. Weißenstadt 2004, 2007.
- Heinrich Anschütz 1811: Die Gewehr-Fabrik in Suhl.
- Johann Boxel : Anweisung der Kriegsübung [...] s’Graven-Hage (Den Haag) 1675.
- Robert Brooker: Radschloss Sammlung Landeszeughaus Graz. Graz 2007.
- John Cruso: Militarie Instructions for the Cavallrie. Universitie of Cambridge 1632.
- Wilhelm Schäfer, gen. Dilich: Krieges-Schule [...]. Franckfurt am Mayn/ Johann David Zunner. Gedruckt bey Johann Philipp Andreae 1689 (geschrieben um 1647).
- Alfred Geibig 1996: Eine Auswahl historischer Waffen aus den Beständen der Kunstsammlungen der Veste Coburg.
- Jacob de Gheyn: Wapenhandelinghe van Roers, Musquetten ende Spießen. Den Haag 1607 und Amsterdam 1608.
- Peter Isselburg : Kuenstliche Waffenhandlung der Musqueten vnd Piquen oder Langen Spiessen. Nürnberg 1620.
- J.B. Kist, J.P. Puype, R.B.F. van der Sloot: Niederländische Musketen und Pistolen. Graz 1974.
- André Schürger 2007: Bleikugeln vom Schlachtfeld Lützen 1632 - Überlegungen zu Bewaffnung und Schlachtverlauf. In: Gustav Adolf, König von Schweden 1632-2007. Begleitpublikation zur Ausstellung des 375. Jahrestages der Schlacht bei Lützen 1632.
- Svenska Dagbladet 1991: Gustav Adolf II, Kriminaltechnische Untersuchung seines bei Lützen getragenen Lederkollers.
- Wallhausen: Kriegskunst zu Fuß. Verl. von Johann-Theod. de Bry, Oppenheim, Hieronymo Gallero 1615
- Wallhausen: Kriegskunst zu Pferdt. Verl. von Johann-Theod. de Bry, Frankfurt a. M., Paull Jacobi 1616
- Zahlreiche Auktionskataloge
© Peter Engerisser 2017
Bei Bedarf zitieren Sie diesen Beitrag bitte als: Kalibertabellen und -abmessungen für Feuerwaffen von 1600 bis 1650. Aus: Peter Engerisser: Ausrüstung und Bewaffnung der Armeen des Dreißigjährigen Krieges. URL: http://www.engerisser.de/Bewaffnung/Kaliber.html
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